Münster – Am 21. Juli 2025 findet im Forum der Volkshochschule Münster ein besonderer Abend statt: Die ghanaische Schriftstellerin Ivana Akotowaa Ofori liest aus ihrer Novelle „Das Jahr der Rückkehr“. Die Veranstaltung verbindet Literatur, Geschichte und aktuelle Diaspora-Diskurse auf eindrucksvolle Weise.
Eine Lesung, die Geschichte lebendig macht
Die ghanaische Autorin Ivana Akotowaa Ofori, auch bekannt unter ihrem Künstlernamen „The Spider Kid“, ist am 21. Juli zu Gast in Münster. Im Rahmen eines literarischen Abends stellt sie ihre Novelle „Das Jahr der Rückkehr“ vor – eine packende Geschichte, die historische Realität mit übernatürlichen Elementen verbindet. Der Roman thematisiert Ghanas „Year of Return“ von 2019 und beleuchtet die Perspektive einer jungen Frau der Diaspora, die nach Ghana zurückkehrt und dort auf eine spirituelle Welt trifft, in der Geister aus dem Atlantik auftauchen.
Die Lesung findet um 19 Uhr im Forum der VHS Münster statt. Begleitet wird sie von der Journalistin Tina Adomako, die auch die Übersetzung des Textes ins Deutsche übernahm. Schauspielerin Barbara Kemmler vom Cactus Junges Theater übernimmt die Leseparts. Veranstaltet wird der Abend vom Verein Afrikanische Perspektiven in Kooperation mit der VHS Münster, der Universität Münster und weiteren lokalen Partnern.
Die Geschichte hinter „Das Jahr der Rückkehr“
Die Novelle von Ofori ist literarisch dicht und gesellschaftlich brisant. Sie schildert das Jahr 2019, in dem Ghana die afrikanische Diaspora weltweit aufrief, ihre historischen Wurzeln zu besuchen – genau 400 Jahre nach dem Beginn des transatlantischen Sklavenhandels. Die Protagonistin Adwapa, eine junge Frau aus den USA, folgt diesem Aufruf. Doch was als Heimreise beginnt, nimmt eine mystische Wendung, als plötzlich Geister auftauchen – Vorfahren, die einst gewaltsam über den Atlantik verschleppt wurden und nun aus dem Ozean auftauchen, um ihre Geschichte zu erzählen.
Der übernatürliche Aspekt der Geschichte ist kein Selbstzweck. Vielmehr dient er als literarische Metapher: Die Vergangenheit lässt sich nicht verdrängen, sondern fordert Erinnerung, Auseinandersetzung und Heilung. „Ich wollte eine Geschichte schreiben, in der die Toten nicht vergessen sind“, so Ofori in einem früheren Interview. „Denn sie sind es, die unser Heute geprägt haben.“
Die Autorin: Zwischen Spoken Word, Kuratieren und Storytelling
Ivana Akotowaa Ofori wurde in Ghana geboren und schreibt Lyrik, Prosa und Essays. Sie ist Teil der jungen panafrikanischen Literaturszene und bekannt für ihre Spoken-Word-Auftritte. 2025 kuratiert sie zudem das African Book Festival Berlin. Ihre Stimme wird immer wieder in politischen wie künstlerischen Zusammenhängen gehört, etwa wenn es um postkoloniale Strukturen, Migration oder kulturelle Identität geht. Dabei gelingt es ihr, mit feinem Stil und mutigen Perspektiven aktuelle Diskurse in erzählerische Kraft zu verwandeln.
Ihr literarisches Debüt wurde mehrfach ausgezeichnet. Das Literaturmagazin „Brittle Paper“ nahm „Das Jahr der Rückkehr“ in die Liste der „100 bemerkenswerten afrikanischen Bücher“ auf. Die Rezeption war durchweg positiv – Kritiker lobten die „tiefgründige, atmosphärisch dichte Erzählweise“ sowie „den innovativen Umgang mit historischer Erinnerung“.
Der historische Hintergrund: Das „Year of Return“
Die ghanaische Regierung rief 2019 das „Year of Return“ aus – ein historisches Erinnerungsjahr, das besonders an die Ankunft der ersten versklavten Afrikaner in Jamestown, Virginia im Jahr 1619 erinnerte. Es war zugleich ein symbolischer Akt: Ghana wollte sich als spirituelles und kulturelles Zentrum für die afro-diasporische Welt präsentieren. Der Appell ging weltweit viral, und Hunderttausende folgten ihm.
Erfolgszahlen im Überblick:
Jahr | Internationale Besucher | Einnahmen im Tourismussektor |
---|---|---|
2017 | ~970.000 | ~1,2 Mrd. USD |
2019 (Year of Return) | ~1,13 Mio | ~1,9 Mrd. USD |
2024 | ~1,29 Mio | ~4,8 Mrd. USD |
Kritische Stimmen zum Erfolg
Während internationale Medien die Kampagne als beispielhaft feierten, kamen auch kritische Stimmen auf. Die Preise für Dienstleistungen stiegen in Ghana erheblich. In touristischen Zentren wie Accra wurden Preise in US-Dollar verlangt, was die lokale Bevölkerung erheblich belastete. Soziale Medien spiegelten diesen Unmut wider – unter anderem sprachen Ghanaer:innen auf Plattformen wie Reddit und Instagram von einer ökonomischen Entfremdung.
Auch Wissenschaftler zeigten sich ambivalent. Die Politologin Angela A. Biney analysierte in einem Fachartikel: „Die kommerzielle Instrumentalisierung von Rückkehrsehnsucht birgt die Gefahr, das historische Leid der Versklavung zur Eventkulisse zu machen.“ Dieser Aspekt schwingt auch in Oforis Roman mit – subtil, aber wirkungsvoll.
„Beyond the Return“ – ein kulturelles Langzeitprojekt
Aus dem temporären Event wurde ein Zehnjahresplan: Die Folgeinitiative „Beyond the Return“ zielt darauf ab, die kulturellen, wirtschaftlichen und intellektuellen Beziehungen zwischen Ghana und der Diaspora dauerhaft zu stärken. Neben Investitionsprogrammen wie dem Sankofa-Konto für Rückkehrer entstand eine Vielzahl von Veranstaltungen, die heute jährlich stattfinden – etwa die Kulturwoche „Detty December“, die sich zur festen Größe im afrikanischen Festivalkalender entwickelt hat.
Auch junge Diaspora-Ghanesen nehmen das Angebot an. Laut Schätzungen haben sich seit 2019 über 1.500 Afroamerikaner:innen dauerhaft in Ghana niedergelassen – ein neuer Trend, der Identität, Zugehörigkeit und Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln vereint.
Literatur als Verbindung: Warum die Lesung in Münster mehr ist als ein Event
Die Veranstaltung in Münster ist mehr als eine Autorenlesung – sie ist ein Gespräch über Geschichte, Erinnerung, Zugehörigkeit und transnationale Identität. Der literarische Rahmen eröffnet einen Zugang zu Fragen, die in offiziellen Narrativen oft keinen Platz finden: Wie fühlt es sich an, zurückzukehren? Wer darf erzählen? Und wie lassen sich Geschichte und Gegenwart so verbinden, dass Heilung möglich wird?
Durch die Einbindung lokaler Akteure wie Cactus Junges Theater und der VHS entsteht ein Raum des Austauschs – zwischen Kulturen, Generationen und Perspektiven. Besonders jüngere Leser:innen dürften in Oforis Sprache neue Ausdrucksformen für eigene Erfahrungen finden.
FAQ – Wichtige Fragen zum Thema kurz beantwortet
Wie sehen Ghanas Einwohner die „Year of Return“-Initiative fünf Jahre später?
Die Meinungen sind geteilt. Während viele stolz auf die internationale Aufmerksamkeit sind, klagen andere über gestiegene Preise, kulturelle Entfremdung und das Gefühl, dass die Kampagne vor allem dem Tourismus diente.
Wie verbindet der Roman „The Year of Return“ Geistergeschichte und historische Erinnerung?
Die Geister sind Symbolträger der Geschichte: Sie stehen für das kollektive Gedächtnis und die unausgesprochene Vergangenheit. Ihre Rückkehr macht den historischen Schmerz greifbar und konfrontiert die Gegenwart mit unbequemen Wahrheiten.
Zieht die „Year of Return“-Kampagne echte Diaspora-Migration oder nur Kurzzeitbesuche an?
Beides. Während viele nur für kurze Zeit kamen, hat sich eine wachsende Zahl von Menschen aus der Diaspora dauerhaft in Ghana niedergelassen – ein Beweis dafür, dass die Initiative mehr als ein symbolischer Akt war.
Fazit: Erinnerung gestalten – zwischen Ozean und Identität
Ivana Akotowaa Oforis literarisches Werk und ihr Auftritt in Münster sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Literatur gesellschaftliche Debatten anstoßen kann. Zwischen historischen Fakten und übernatürlicher Fiktion gelingt es ihr, eine Brücke zu schlagen – zwischen Ghana und der Diaspora, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Münster und Accra. Die Lesung wird damit zu einem wichtigen Baustein im interkulturellen Dialog und zur Einladung, sich der Geschichte offen und künstlerisch zu nähern.