Südafrika | Irma Stern in Berlin: Zwischen Moderne, Exil und postkolonialer Reflexion

Südafrika | Irma Stern in Berlin: Zwischen Moderne, Exil und postkolonialer Reflexion

Berlin – Mit einer umfangreichen Ausstellung würdigt das Brücke-Museum im Sommer 2025 eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Irma Stern. Die südafrikanische Malerin, die zwischen Berlin und Kapstadt lebte und arbeitete, kehrt mit rund 40 Werken an den Ort zurück, der ihre frühe künstlerische Entwicklung entscheidend prägte. Die Ausstellung zeigt nicht nur das künstlerische Werk Sterns, sondern stellt auch drängende Fragen zu Kolonialismus, Repräsentation und kulturellem Erbe.

Eine Rückkehr nach Berlin – und in die Kunstgeschichte

Irma Stern (1894–1966) zählt zu den wichtigsten Figuren der südafrikanischen Moderne. Ihre Gemälde sind farbgewaltig, expressiv und emotional. In Südafrika genießt sie hohes Ansehen, ihre Werke erzielen regelmäßig Spitzenpreise bei internationalen Auktionen. Dennoch war sie in Deutschland, wo sie studierte und ausstellte, lange Zeit nahezu vergessen. Mit der neuen Ausstellung im Brücke-Museum wird dieses Kapitel nun neu aufgeschlagen.

Die Ausstellung „Irma Stern. A Modern Artist between Berlin and Cape Town“ ist die erste umfassende Retrospektive Sterns in Berlin. Gezeigt werden rund 40 Werke aus internationalen Sammlungen – viele davon stammen aus Südafrika und sind zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Es ist eine Ausstellung, die nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihr Leben in den Mittelpunkt rückt.

Eine Biografie zwischen den Welten

Studium in Deutschland, Erfolg in Südafrika

Stern wurde 1894 in Südafrika geboren, verbrachte jedoch prägende Jahre in Deutschland. In Weimar und Berlin studierte sie Kunst, unter anderem bei Martin Brandenburg, und war eng mit der avantgardistischen Novembergruppe sowie den Künstlern der Brücke verbunden. Ihre erste Einzelausstellung fand 1919 in Berlin statt – ein mutiger Schritt für eine junge Frau in der männerdominierten Kunstwelt jener Zeit.

Doch mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurde ihre Karriere in Deutschland jäh beendet. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurden ihre Werke als „entartet“ diffamiert. Stern kehrte dauerhaft nach Südafrika zurück, wo sie sich als anerkannte Künstlerin etablierte – nicht zuletzt durch ihre unermüdlichen Reisen in die Länder des afrikanischen Kontinents, deren Eindrücke sie malerisch festhielt.

Ein Werk zwischen Expressionismus und Exotismus

Irma Sterns Stil ist von der deutschen Moderne beeinflusst, insbesondere vom Expressionismus der Brücke-Künstler. Doch ihre Themenwahl unterscheidet sich: Statt urbaner Szenen oder Selbstbildnisse wendet sie sich dem „Anderen“ zu – Menschen, Kulturen und Landschaften Afrikas, die sie auf Reisen dokumentierte. Diese Entscheidung sorgt bis heute für kontroverse Diskussionen.

Die Ausstellung in Berlin stellt sich dieser Ambivalenz bewusst. Sie zeigt Sterns Werke im Dialog mit jenen der Brücke-Künstler und hinterfragt kritisch die kolonialen und rassistischen Kontexte, in denen viele ihrer Bilder entstanden. Damit wird nicht nur das künstlerische Erbe Sterns gewürdigt, sondern auch ihre Rolle in der Kunstgeschichte neu bewertet.

Ausstellung mit Haltung: Kuratorisches Konzept

Kuratiert wird die Ausstellung von Lisa Marei Schmidt und Lisa Hörstmann. Ihr Ziel ist es, Irma Stern nicht nur als Einzelperson zu präsentieren, sondern als Künstlerin in einem komplexen Spannungsfeld von Herkunft, Exil, Gender und kolonialem Blick.

Ein besonderes Element ist die Intervention des südafrikanischen Künstlers Athi-Patra Ruga, der mit einer eigenen Arbeit auf Sterns Werk reagiert. Ruga, der aus einer queeren und Black-Perspektive arbeitet, setzt sich mit den Darstellungen Sterns auseinander und schafft so eine produktive Reibung zwischen den Epochen und Sichtweisen.

Programmpunkte und Rahmenveranstaltungen

Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Begleitprogramm flankiert. Bereits zur Eröffnung am 12. Juli 2025 gibt es Podiumsdiskussionen, Führungen und Lesungen. Zu den Höhepunkten zählen:

  • Ein Vortrag über Sterns Reisetagebuch Umgababa
  • Ein Panel mit südafrikanischen Expert:innen zur Rezeption Sterns
  • Kuratorinnenführungen mit Lisa Hörstmann
  • Ein Rundgang mit Athi-Patra Ruga zur Präsentation seiner Intervention

Damit positioniert sich die Ausstellung nicht nur als klassische Retrospektive, sondern als offene Plattform für Debatte und Auseinandersetzung.

Rezeption in Südafrika und international

Während Stern in Südafrika seit Jahrzehnten als große nationale Künstlerin gefeiert wird, ist die Wahrnehmung nicht durchweg positiv. Kritiker:innen werfen ihr einen „settler primitivism“ vor – also eine romantisierende Darstellung afrikanischer Kulturen aus einer weißen, kolonialen Perspektive. Auch in aktuellen Forendiskussionen wird die Frage aufgeworfen, ob ihre Bilder wirklich respektvoll mit den dargestellten Personen umgehen oder koloniale Stereotype reproduzieren.

Der Kunsthistoriker Sean O’Toole etwa betont, dass Sterns Gemälde komplexer gelesen werden müssen: „Sie porträtierte Schwarze Südafrikaner:innen eindrucksvoll, aber ihr Blick bleibt der einer weißen Siedlerin.“ Eine ähnliche Position vertritt auch die Wissenschaftlerin LaNitra M. Berger, die Sterns Ambivalenz zwischen Repräsentation und Distanz untersucht hat.

Marktwert und Sammlungssituation

Irma Sterns Werke sind auf dem internationalen Kunstmarkt sehr gefragt. Ihre Gemälde erzielen regelmäßig Höchstpreise. Das Bild „Bahora Girl“ wurde 2011 für rund 1,5 Millionen Euro versteigert – ein Rekord für südafrikanische Kunst. Diese Marktresonanz hat dazu beigetragen, dass internationale Sammlerhäuser wie Strauss & Co. die Berliner Ausstellung aktiv unterstützen.

WerkJahrVerkaufspreis (ZAR)Ungefähre €-Wert
Gladioli 1939 13,3 Mio ca. 700.000 €
Bahora Girl n.a. 26,7 Mio ca. 1,5 Mio €
Still Life with Grapefruit 1954 2–3 Mio ca. 115.000–170.000 €

Praktische Informationen

Die Ausstellung „Irma Stern. A Modern Artist between Berlin and Cape Town“ läuft vom 13. Juli bis 2. November 2025. Ort ist das Brücke-Museum im Berliner Stadtteil Dahlem. Geöffnet ist von Mittwoch bis Montag, jeweils 11–17 Uhr. Der Eintritt beträgt 6 Euro regulär, ermäßigt 4 Euro. Kombitickets mit dem benachbarten Kunsthaus Dahlem sind verfügbar.

Häufig gestellte Fragen zur Ausstellung

Was wird in der Irma Stern Ausstellung gezeigt?

Rund 40 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken – viele davon aus südafrikanischen Privatsammlungen und zum ersten Mal in Berlin zu sehen.

Wer kuratiert die Ausstellung?

Lisa Marei Schmidt, Direktorin des Brücke-Museums, und Lisa Hörstmann, Kuratorin der Ausstellung, zeichnen verantwortlich für das Konzept.

Gibt es Führungen für Menschen mit Behinderung?

Ja, das Brücke-Museum bietet barrierefreie Angebote und spezielle Führungen für blinde oder sehbehinderte Personen an.

Wie reagiert die internationale Kunstszene auf die Ausstellung?

Die Ausstellung wird international beachtet, unter anderem durch Sammlerhäuser wie Strauss & Co. und durch Interventionen wie die von Athi-Patra Ruga wird auch eine postkoloniale Reflexion angestoßen.

Fazit: Eine Ausstellung von großer Relevanz

Die Rückkehr Irma Sterns nach Berlin ist mehr als ein künstlerisches Ereignis – sie ist ein Anlass zur Reflexion über kulturelle Zugehörigkeit, koloniales Erbe und die Rolle der Kunst in der Aufarbeitung historischer Narrative. Das Brücke-Museum beweist mit dieser Ausstellung Mut, Tiefe und internationale Relevanz. Wer sich für moderne Kunst, Geschichte und gesellschaftliche Fragen interessiert, sollte diese Ausstellung keinesfalls verpassen.

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