Inmitten wachsender gesellschaftlicher Diskussionen über Rassismus, Teilhabe und kulturelle Identität gewinnen afrodiasporische Organisationen in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Besonders in Berlin, einem der vielfältigsten urbanen Zentren Europas, sind es Akteure wie der Afrika‑Rat Berlin‑Brandenburg und das afrodeutsche Medienprojekt Afrotak TV cyberNomads, die sich seit Jahren für die Sichtbarkeit und politische Mitsprache Schwarzer Menschen einsetzen. Beide verfolgen unterschiedliche, sich ergänzende Ansätze – politisch, medial und künstlerisch – und prägen damit das afrodeutsche Selbstverständnis im öffentlichen Raum.
Der Afrika‑Rat: Politisches Sprachrohr der afrikanischen Community
Gegründet im Jahr 2005, ist der Afrika‑Rat Berlin‑Brandenburg heute Dachverband von rund 50 afrikanischen Organisationen in der Region. Ziel des Rats ist es, die politische, soziale und kulturelle Partizipation afrikanischstämmiger Menschen in Deutschland zu stärken. Der Verein versteht sich dabei nicht nur als Vermittler zwischen Community und Politik, sondern auch als Initiator öffentlichkeitswirksamer Aktionen.
Von Protest zu Partizipation
Bereits 2006 sorgte der Afrika‑Rat mit seiner viel beachteten „No‑Go‑Area“-Kampagne zur Fußballweltmeisterschaft für bundesweite Aufmerksamkeit. Damals warnte die Organisation vor rassistischer Gewalt in bestimmten Regionen und rief zu politischer Wachsamkeit auf. Solche Aktionen unterstreichen die Rolle des Rats als Sprachrohr der afrikanischen Community – nicht nur als Lobby, sondern als aktivistische Stimme in gesellschaftlichen Debatten.
Strukturelle Förderung und Bildungsarbeit
Finanziell wird der Afrika‑Rat unter anderem durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie durch das Land Berlin unterstützt. Im Rahmen des „Promotor*innen“-Programms fließen jährlich Fördergelder – zuletzt rund 48.000 Euro – in Bildungsprojekte, Informationskampagnen und Vernetzungsarbeit. Im Zentrum stehen dabei Themen wie Antirassismus, Globales Lernen und Interkulturalität.
Afrotak TV: Medienarbeit für digitale Sichtbarkeit
Während der Afrika‑Rat eher politisch-organisatorisch agiert, schlägt Afrotak TV cyberNomads eine andere Brücke zur Sichtbarkeit. Gegründet 2001 von Adetoun und Michael Küppers-Adebisi, versteht sich das Projekt als medienpädagogische Plattform, digitales Archiv und kulturelle Schnittstelle. Es produziert Interviews, Dokus und Veranstaltungsformate mit dem Ziel, eine alternative Repräsentation afrodiasporischer Perspektiven zu ermöglichen.
Black Media Congress und Biennale als Meilensteine
In den frühen 2000er-Jahren rief Afrotak TV die ersten Black Media Congresses ins Leben. Diese Veranstaltungen brachten Medienschaffende, Aktivist:innen und Künstler:innen aus der afrikanischen Diaspora zusammen. Ein weiteres zentrales Projekt ist die seit 2012 stattfindende „Black Berlin Biennale“, ein urbanes Kunstprojekt mit Plakataktionen und Performances im öffentlichen Raum. Seit 2016 ist es Teil der offiziellen UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft.
„Wir schaffen Räume, in denen unsere Geschichten erzählt und gehört werden. Sichtbarkeit ist nicht nur eine Frage der Repräsentation, sondern auch der Selbstermächtigung.“ – Adetoun Küppers-Adebisi
Gemeinsam für ein dekoloniales Berlin
Beide Organisationen wirken eng zusammen im Rahmen des Berlin Global Village, einem Zentrum für entwicklungspolitische und migrantische Initiativen. Hier entsteht ein gemeinsames Narrativ, das auf einer dekolonialen, machtkritischen Perspektive beruht. Besonders sichtbar wird diese Zusammenarbeit im Projekt „Dekoloniales Denkzeichen“, einem offenen Dialograum, der seit März 2025 im urbanen Raum Berlins installiert ist.
Das Dekoloniale Denkzeichen
Das Denkzeichen versteht sich nicht als Denkmal im klassischen Sinne, sondern als interaktives Bildungs- und Kulturformat. Es soll an die koloniale Vergangenheit erinnern, gleichzeitig aber auch Perspektiven für die Zukunft eröffnen. Hier treffen sich Künstler:innen, Aktivist:innen und Bürger:innen zum Austausch über Rassismus, Erinnerungskultur und globale Gerechtigkeit.
Die Bedeutung der afrikanischen Diaspora in Zahlen
Das Bewusstsein für die Größe und Bedeutung der afrikanischen Diaspora in Deutschland wächst. Erstmals lieferte der Afrozensus 2020 belastbare Daten zur Lebensrealität afrodeutscher Menschen:
Aspekt | Ergebnis Afrozensus 2020 |
---|---|
Teilnehmende | ca. 6.000 Menschen afrikanischer Herkunft |
Rassismuserfahrungen im Alltag | über 50 % |
Diskriminierung durch Polizei oder Gesundheitssystem | 20–40 % |
Gesamtschätzung afrodeutsche Bevölkerung | 500.000 – 1 Million |
Eine ergänzende Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) von 2022 stellte fest, dass 77 % der befragten Menschen aus Subsahara-Afrika in Deutschland Diskriminierung erfahren haben – weit über dem EU-Durchschnitt von 47 %.
Vergessene Perspektiven: Frauen und queere Stimmen
Ein Aspekt, der in vielen Debatten untergeht, ist die Sichtbarkeit von Frauen und queeren Menschen innerhalb der afrikanischen Diaspora. Hier leistet vor allem die Organisation ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland seit den 1980er-Jahren Pionierarbeit. Inspiriert von der US-amerikanischen Dichterin und Aktivistin Audre Lorde, setzt ADEFRA auf intersektionalen Feminismus, Bildung und Empowerment. Die Organisation steht beispielhaft für die Notwendigkeit, innerhalb marginalisierter Gruppen auch interne Diskriminierungen sichtbar zu machen.
Historische Vordenkerinnen: Katharina Oguntoye
Die Historikerin und Autorin Katharina Oguntoye ist Mitautorin des Sammelbands „Farbe bekennen“ (1986) – dem wohl einflussreichsten Werk zur afrodeutschen Identität. Ihre Arbeit lieferte das intellektuelle Fundament für heutige Bewegungen. Das von ihr mitinitiierte Literaturprojekt war der erste Versuch, afrodeutsche Geschichte und Gegenwart in einem kollektiven Narrativ zu bündeln.
Transnationale Netzwerke und globaler Aktivismus
Ein weiterer, oft unterschätzter Bereich ist die transnationale Vernetzung afrikanischstämmiger Communities. Viele Berliner Initiativen kooperieren mit Organisationen in Westafrika, um etwa Rückführungsabkommen der EU zu hinterfragen. Diese Form der grenzüberschreitenden Solidarität macht deutlich, dass die Diaspora nicht nur Teil deutscher Gesellschaft ist, sondern auch eine politische Brücke zwischen den Kontinenten bildet.
Politische und kulturelle Einflussräume
Die Bandbreite der Aktivitäten reicht dabei von politischen Stellungnahmen über Bildungsprojekte bis hin zu künstlerischen Interventionen. Besonders Afrotak TV hat hier Maßstäbe gesetzt: Neben Medienproduktion und Archivierung betreibt das Projekt eine aktive Vernetzung mit der afrikanischen Kunstszene, etwa durch mobile Ausstellungen oder performative Aktionen im öffentlichen Raum.
Fazit: Sichtbarkeit als demokratische Ressource
Ob politisch, medial oder kulturell – der Kampf um Sichtbarkeit ist für die afrikanische Diaspora in Deutschland auch ein Kampf um demokratische Teilhabe. Der Afrika‑Rat und Afrotak TV zeigen auf exemplarische Weise, wie sich durch Hartnäckigkeit, kreative Formate und Vernetzung ein gesellschaftlicher Wandel anstoßen lässt. Dabei ist klar: Sichtbarkeit bedeutet nicht nur, gesehen zu werden – sondern auch, selbst mitzubestimmen, wie man gesehen wird.
In einer Zeit, in der Fragen von Zugehörigkeit, Herkunft und Identität zunehmend politisiert werden, braucht es starke Stimmen wie diese – in Berlin und darüber hinaus.