Mit dem neuen bilateralen Arbeits- und Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Kenia beginnt eine Phase engerer wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Kooperation. Während Deutschland gezielt dem eigenen Fachkräftemangel begegnen möchte, sieht Kenia in der Auslandsvermittlung von Arbeitskräften eine strategische Möglichkeit zur Stärkung der eigenen Wirtschaft. Doch das Abkommen wirft auch Fragen auf – zur Fairness, Wirksamkeit und langfristigen Wirkung auf beide Länder.
Die Grundlage: Ein Abkommen mit Signalwirkung
Am 13. September 2024 unterzeichneten Bundeskanzler Olaf Scholz und der kenianische Präsident William Ruto in Berlin ein sogenanntes Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen. Ziel ist es, qualifizierten Fachkräften aus Kenia den legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen – insbesondere in Pflege, Logistik, Handwerk und IT. Gleichzeitig soll das Abkommen helfen, Rückführungen ausreisepflichtiger Personen zu erleichtern.
Das Abkommen ist Teil einer Reihe von Partnerschaften, die Deutschland unter dem strategischen Ziel initiiert, jährlich etwa 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Kenia ist nach Georgien und Indien eines der wenigen außereuropäischen Länder, mit denen Deutschland einen solchen Pakt geschlossen hat.
Schwerpunkte des Abkommens
- Visaerleichterungen für qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte
- Förderung beruflicher Qualifikationen und Anerkennung von Abschlüssen
- Erleichterte Rückführungen durch biometrische Erfassung und Identifikation
- Ausbau von Ausbildungskooperationen zwischen Hochschulen und Betrieben
Win-Win oder politische Symbolik?
Die Unterzeichnung wurde von beiden Seiten als "Win-Win-Situation" gefeiert. Bundeskanzler Scholz lobte das Abkommen als wichtigen Baustein für eine moderne Einwanderungspolitik, die auf legale Wege statt irregulärer Migration setzt. Präsident Ruto wiederum sprach von einem "historischen Schritt", der jungen Menschen in Kenia neue Perspektiven eröffne.
Doch nicht alle sehen das Abkommen in so positivem Licht. Kritiker warnen, dass die versprochenen Effekte oft eher symbolischer Natur seien. So liegt die Zahl der Asylanträge aus Kenia seit Jahren unter 500 jährlich – der Effekt beschleunigter Rückführungen dürfte somit begrenzt sein. Gleichzeitig bleibt unklar, wie viele Arbeitskräfte tatsächlich über das Abkommen nach Deutschland kommen sollen.
„Das Abkommen dient auch innenpolitisch als Signal – weniger zur tatsächlichen Lösung des Fachkräftemangels, sondern zur Demonstration politischer Handlungsfähigkeit“, meint ein Analyst der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Kenias Strategie: Export von Arbeitskraft
Kenia verfolgt mit dem Abkommen eine langfristige Strategie: Präsident Ruto plant, jährlich rund eine Million kenianische Arbeitskräfte in den internationalen Arbeitsmarkt zu integrieren. Der wirtschaftliche Nutzen liegt auf der Hand – durch Rücküberweisungen (Remittances) entsteht eine verlässliche Devisenquelle, die auch zur Haushaltsstabilisierung beiträgt.
Im Vergleich zu asiatischen Ländern wie den Philippinen oder Bangladesch will Kenia sich als afrikanischer Hub für Arbeitsmigration positionieren. Das sogenannte „Labour Mobility Framework“ sieht vor, gezielt Arbeitsmärkte wie Deutschland, Kanada oder den Golfstaaten mit gut vorbereiteten Fachkräften zu beliefern.
Risiken und kritische Stimmen
Doch auch in Kenia gibt es kritische Stimmen. Entwicklungsökonomen warnen vor einem massiven Brain Drain – dem Verlust gut ausgebildeter Fachkräfte im Inland. Besonders in Bereichen wie Pflege und IT könnte die Auswanderung vorhandene Engpässe verschärfen. Zudem bleibt fraglich, ob ausreichende Maßnahmen zur Re-Integration rückkehrender Fachkräfte bestehen.
„Wir dürfen nicht die Fehler anderer Länder wiederholen und unsere besten Köpfe verlieren, ohne das Wissen zurück ins Land zu holen“, sagt eine Vertreterin der NGO CEMEREB in Nairobi.
Remote-Arbeit als Alternative zur Auswanderung
Ein interessanter neuer Ansatz ist die Förderung digitaler Arbeitsplätze, die keine physische Migration erfordern. Insbesondere deutsche Start-ups, die mit dem „Silicon Savannah“ rund um Nairobi kooperieren, setzen zunehmend auf Remote-Arbeitsmodelle. So können IT-Spezialisten aus Kenia für deutsche Firmen arbeiten, ohne ihre Heimat verlassen zu müssen.
Diese „Remotopia“ – eine digital vernetzte Arbeitswelt – könnte langfristig zur Reduktion der Abwanderung beitragen und gleichzeitig das Einkommen steigern. Allerdings ist der Ausbau entsprechender digitaler Infrastrukturen und die Gewährleistung fairer Arbeitsbedingungen essenziell.
Wie steht es um die Umsetzung?
Die praktische Umsetzung des Abkommens hat bereits begonnen. Im dritten Quartal 2024 wurden laut Bundesinnenministerium etwa 90 Visa für kenianische Pflegekräfte ausgestellt. Pilotprogramme an deutschen Fachhochschulen – wie an der Hochschule Koblenz in Zusammenarbeit mit der Mount Kenya University – zeigen erste Ausbildungserfolge.
Gleichzeitig arbeitet Kenia daran, die Qualität seiner Berufsausbildungen zu verbessern. Aktuell entsprechen nur etwa 20 der rund 300 staatlich anerkannten Berufsabschlüsse den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes. Eine „Skills Alignment Conference“ in Nairobi im Frühjahr 2025 setzte erste Impulse zur Anpassung der Curricula.
Einbindung lokaler Agenturen
Die National Employment Authority (NEA) in Kenia hat zuletzt verstärkt Maßnahmen gegen unethische Vermittler ergriffen. Rund 25 lokale Agenturen verloren im Zuge von Überprüfungen ihre Lizenz. Ziel ist es, sicherzustellen, dass keine Vermittlungsgebühren von Bewerberinnen und Bewerbern verlangt werden – ein zentraler Punkt des ethischen Rekrutierungsansatzes.
Die Rolle deutscher Institutionen
Auch deutsche Akteure wie die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) oder das Goethe-Institut sind aktiv. Während die GIZ in der Ausbildungsförderung und Vermittlung mitwirkt, übernimmt das Goethe-Institut Sprachvorbereitungen. Erste Modelle wie in Schleswig-Holstein oder Bayern integrieren zudem interkulturelle Schulungen und ermöglichen Familiennachzug.
Chancen und Herausforderungen – eine Übersicht
Chancen | Herausforderungen |
---|---|
Deckung des Fachkräftebedarfs in DE | Brain Drain in Kenia |
Stärkung von Remittances für Kenia | Unklare Visakontingente |
Digitale Kooperationen ohne Migration | Infrastruktur- und Sprachbarrieren |
Stärkung der bilateralen Beziehungen | Politische Symbolik statt Strukturwandel |
Ausblick: Mehr als nur ein Abkommen?
Das deutsch-kenianische Arbeitsabkommen ist ein Pioniermodell mit Potenzial, aber auch mit Fallstricken. Es stellt die Frage, wie Migration im 21. Jahrhundert gestaltet werden kann – jenseits von Abschottung, aber auch jenseits unkontrollierter Mobilität.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die beiden Länder den eingeschlagenen Weg nachhaltig und fair gestalten können. Dafür braucht es politische Konsequenz, transparente Kommunikation und Investitionen auf beiden Seiten. Nur so wird aus dem Abkommen mehr als ein Symbol – nämlich ein tatsächlicher Gewinn für Fachkräfte, Gesellschaften und Volkswirtschaften.