35 Jahre Fenkil-Operation: Wie Eritreer in Deutschland ein umstrittenes Nationalgedenken gestalten

35 Jahre Fenkil-Operation: Wie Eritreer in Deutschland ein umstrittenes Nationalgedenken gestalten

Vor 35 Jahren markierte die Fenkil-Operation im ostafrikanischen Eritrea einen entscheidenden Wendepunkt im jahrzehntelangen Unabhängigkeitskrieg gegen das damalige äthiopische Regime. In der eritreischen Hafenstadt Massawa kam es im Februar 1990 zu einer der größten militärischen Auseinandersetzungen des Befreiungskampfes. Heute, drei Jahrzehnte später, erinnern sich nicht nur die Menschen in Eritrea an diesen historischen Moment – auch in der Diaspora, insbesondere in Deutschland, wird die Erinnerung lebendig gehalten. Dabei prallen in der Bundesrepublik unterschiedliche Sichtweisen aufeinander: zwischen Stolz, staatstreuer Erinnerungskultur und offener Kritik am autoritären System in Eritrea.

Die Fenkil-Operation – ein historischer Wendepunkt

Vom 8. bis zum 10. Februar 1990 durchbrachen Kämpfer der Eritrean People's Liberation Front (EPLF) die äthiopischen Verteidigungslinien rund um die strategisch bedeutsame Hafenstadt Massawa. Mit geschätzten 25.000 Soldaten griff die EPLF die gut befestigten Stellungen der äthiopischen Armee an, die ihrerseits über etwa 17.000 Soldaten verfügte. Innerhalb weniger Tage gelang es der EPLF, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch: Während etwa 8.000 äthiopische Soldaten in Gefangenschaft gerieten und rund 9.000 getötet wurden, beklagte die EPLF rund 3.000 gefallene Kämpfer.

Der militärische Sieg bei Massawa stellte einen strategischen Umschwung dar, der maßgeblich zur endgültigen Unabhängigkeit Eritreas im Jahr 1991 beitrug. Die Einnahme des Hafens kappte Nachschubwege der äthiopischen Armee und unterbrach den zentralen Versorgungsweg der damaligen Besatzungsmacht.

Gedenkveranstaltungen weltweit – auch in Deutschland

Jährlich gedenkt die eritreische Bevölkerung im In- und Ausland diesem Ereignis. Der 35. Jahrestag im Februar 2025 wurde mit besonderer Intensität begangen. Neben groß angelegten Veranstaltungen in Eritrea selbst – allen voran in Massawa – fanden in verschiedenen Ländern der Welt Gedenkveranstaltungen statt. Besonders auffällig war die hohe Beteiligung in Deutschland, Schweden, Italien und Österreich.

In Frankfurt, Mannheim, Berlin und weiteren deutschen Städten organisierte die eritreische Community Veranstaltungen mit patriotischer Musik, Redebeiträgen ehemaliger Kämpfer, kulturellen Aufführungen und Kranzniederlegungen. Unter dem Motto „Fenkil: The Right Choice“ erinnerten Teilnehmende an die Opfer und betonten die historische Bedeutung der Operation für die Identität des eritreischen Volkes.

Die Rolle der Diaspora – Stolz trifft auf Konflikt

In Deutschland leben heute schätzungsweise rund 82.000 Menschen mit eritreischem Hintergrund. Die Diaspora ist nicht homogen – vielmehr wird sie von verschiedenen politischen Strömungen geprägt. Während ein Teil der Community die offizielle Erinnerungskultur der eritreischen Regierung unterstützt und pflegt, regt sich in anderen Kreisen offener Protest gegen das autokratische Regime in Asmara.

Bei Veranstaltungen wie denen zum Fenkil-Gedenken wird diese Spaltung besonders sichtbar. Während regimetreue Organisationen wie die YPFDJ (Jugendorganisation der Regierungspartei) den Tag mit großem nationalen Pathos begehen, formieren sich auf der anderen Seite oppositionelle Gruppen, die gegen die Vereinnahmung des historischen Ereignisses durch die Regierung demonstrieren.

„Wir ehren unsere gefallenen Kämpfer, aber wir lehnen ab, dass ihre Opfer für die Legitimation eines repressiven Regimes benutzt werden“, erklärt ein Sprecher der eritreischen Protestgruppe Brigade N’Hamedu.

Politische Spannungen in Deutschland

Diese Gegensätze entladen sich zunehmend auch auf deutschem Boden. Immer wieder kommt es bei pro-eritreischen Veranstaltungen zu Demonstrationen, Protesten und sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen der Diaspora. Die deutsche Polizei war in der Vergangenheit mehrfach gezwungen, Veranstaltungen abzubrechen oder zu schützen. Zuletzt gerieten in mehreren Städten regierungskritische und regierungstreue Eritreer aneinander – nicht selten unter dem Eindruck jahrelanger Spaltung.

Zusätzlich sorgt die sogenannte „Aufbausteuer“ für Kritik. Viele Eritreer im Ausland werden dazu aufgefordert, zwei Prozent ihres Nettoeinkommens an die Regierung in Asmara zu überweisen. Wer sich weigert, riskiert unter anderem, keinen neuen Pass zu erhalten oder andere konsularische Dienstleistungen zu verlieren. Deutsche Gerichte urteilten bereits mehrfach, dass die Bedingungen zur Passbeantragung im eritreischen Konsulat „unzumutbar“ seien – unter anderem, weil Reueerklärungen und Steuerbelege verlangt werden.

Zwischen Integration und Isolation

Die Integration eritreischer Geflüchteter in Deutschland gestaltet sich komplex. Laut Studien beeinflusst insbesondere das familiäre und soziale Netzwerk in der Diaspora, wie gut oder schlecht sich Neuankömmlinge in die deutsche Gesellschaft einfügen. Während ein stabiler Bezug zur Community Sicherheit bieten kann, berichten Integrationsforscher auch von Fällen, in denen familiäre oder politische Strukturen innerhalb der Diaspora den Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft erschweren.

Fakten zur eritreischen Community in Deutschland

KriteriumWert
Gesamtzahl der Eritreer in Deutschland (2025) ca. 82.000
Top-Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen
Häufigste Asylgründe Politische Verfolgung, Wehrpflicht, Flucht vor Repression

Ein historischer Sieg mit doppelter Bedeutung

Die Fenkil-Operation ist aus historischer Sicht zweifellos ein Meilenstein in der Geschichte Eritreas. Für viele Eritreer – ob im Inland oder in der Diaspora – symbolisiert sie Opferbereitschaft, Freiheitswille und nationale Selbstbestimmung. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, inwieweit diese Erinnerung politisch instrumentalisiert wird und in welchem Verhältnis der heutige autoritäre Staat zur damaligen Freiheitsbewegung steht.

Auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass das Regime in Asmara aus dem einstigen Traum von Freiheit einen repressiven Staat gemacht habe. Die Zwangsrekrutierung von Jugendlichen in den Militärdienst, fehlende Pressefreiheit und das Fehlen demokratischer Strukturen widersprechen dem Geist, den viele mit der Fenkil-Operation verbinden.

Gedenken als Zukunftsfrage

Die Art und Weise, wie insbesondere junge Eritreer in der Diaspora heute über die Fenkil-Operation sprechen, zeigt, dass Erinnerungskultur nicht statisch ist. Viele Jugendliche organisieren Diskussionsrunden, Workshops oder sogar eigene Online-Initiativen, in denen sie historische Ereignisse kritisch aufarbeiten wollen. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Geschichte ist somit längst in die zweite Generation übergegangen.

Die Gedenkveranstaltungen in Deutschland – so umstritten sie auch sein mögen – bleiben ein Ort der Begegnung, der Auseinandersetzung und der politischen Bildung. Vielleicht liegt gerade in dieser Reibung die Chance, dass das kollektive Erinnern nicht zur bloßen Reproduktion staatlicher Propaganda verkommt, sondern ein aktiver, demokratischer Prozess bleibt.

Fazit

35 Jahre nach der Fenkil-Operation steht die eritreische Gemeinschaft in Deutschland vor der Herausforderung, ein historisches Ereignis zu würdigen, ohne die Ambivalenzen der Gegenwart zu verschweigen. Zwischen Stolz und Kritik, zwischen Identität und Opposition verläuft ein schmaler Grat. Die Zukunft der Erinnerungskultur wird davon abhängen, ob es gelingt, den Geist von Massawa 1990 mit demokratischer Vision und gesellschaftlichem Dialog zu verbinden.

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