Die Netze bleiben leer, die Hoffnung schwindet: Entlang der westafrikanischen Atlantikküste kämpfen tausende Fischer und ihre Familien ums Überleben. Internationale Fangflotten leeren die Meere, während lokale Gemeinschaften ihre Lebensgrundlagen verlieren – mit dramatischen Folgen für Umwelt, Ernährung und Migration.
Eine Krise im Schatten der Weltmärkte
Was sich derzeit vor den Küsten von Ländern wie Ghana, Senegal, Benin oder Côte d’Ivoire abspielt, ist mehr als ein ökologisches Problem – es ist eine soziale, wirtschaftliche und politische Krise mit globalen Ursachen. Jahr für Jahr durchkämmen ausländische Fangflotten die westafrikanischen Gewässer, oft unter dem Vorwand legaler Fischereiabkommen. Doch viele dieser Aktivitäten untergraben die Existenz der lokalen Fischer – die ihre Netze mittlerweile oft leer zurückbringen.
Der Bedarf an Fischmehl und Fischöl, vor allem in Europa, Asien und Südamerika, hat die Nachfrage nach westafrikanischem Fisch in den letzten Jahren explodieren lassen. Was früher direkt auf den Tellern der Küstenbewohner landete, wird heute häufig zu Tierfutter oder Aquakultur-Futter verarbeitet. Ganze Industrien profitieren – doch die Kosten tragen die Menschen vor Ort.
Industrielle Ausbeutung: Das Geschäft mit dem Meer
Fischmehl statt Nahrung: Ein ökologischer Teufelskreis
Vor allem kleine pelagische Arten wie Sardinen, Makrelen oder Bonga-Fische sind betroffen. Diese Fischarten sind nicht nur die Hauptnahrungsquelle für Millionen Menschen, sondern auch zentral für das marine Ökosystem. Ihre massenhafte Entnahme zur industriellen Verwertung bringt das gesamte Gleichgewicht ins Wanken.
Eine besonders umstrittene Praxis ist der Export dieser Fische in Form von Fischmehl. In Ländern wie Mauretanien, Gambia oder Senegal entstehen immer mehr Verarbeitungsfabriken, die den Fang zu Mehl und Öl verarbeiten. Exportiert werden diese Produkte nach Europa, China oder in die Türkei – für die lokale Bevölkerung bleiben steigende Preise und leere Märkte.
Die Rolle der ausländischen Flotten
Fischfangabkommen zwischen westafrikanischen Staaten und der EU oder China geben internationalen Flotten Zugang zu riesigen Meeresgebieten. Oft geschieht dies jedoch ohne ausreichende Transparenz oder Kontrolle. Mehr als 37 % des Fischfangs im Golf von Guinea gelten als illegal, unreguliert oder nicht gemeldet (IUU). Die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schäden für die Region werden auf bis zu 2 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt.
Viele dieser Flotten operieren unter sogenannten „Flags of Convenience“ – sie fahren unter fremder Flagge, obwohl sie faktisch von europäischen oder asiatischen Unternehmen betrieben werden. So umgehen sie nationale Vorschriften und erschweren die Nachverfolgung ihrer Aktivitäten.
Existenzen in Gefahr: Die sozialen Folgen
Wenn die Netze leer bleiben
Für die lokalen Fischer ist die Situation dramatisch. Viele berichten, dass sich ihr Fangvolumen in den letzten Jahren mehr als halbiert habe. Gleichzeitig steigen die Kosten für Diesel, Netze und Ausrüstung. In Ghana sind Fischer gezwungen, dreimal so viel Kraftstoff einzusetzen wie vor zehn Jahren – oft für einen Bruchteil der früheren Fangmenge.
Frauen verlieren ihre Rolle im Fischereisystem
In vielen westafrikanischen Ländern sind es die Frauen, die den gefangenen Fisch verarbeiten, räuchern und auf lokalen Märkten verkaufen. Durch den Rückgang des Angebots verlieren sie nicht nur ihre Erwerbsgrundlage, sondern auch ihre gesellschaftliche Rolle. Ganze Dorfgemeinschaften geraten so aus dem Gleichgewicht.
Migranten der Meere: Wenn Armut in Bewegung gerät
Die wirtschaftlichen Folgen der Überfischung wirken sich zunehmend auf Migrationsbewegungen aus. In Senegal stieg die Zahl der Menschen, die 2024 in unsicheren Booten die gefährliche Überfahrt zu den Kanarischen Inseln wagten, auf über 46.800 – doppelt so viele wie im Vorjahr. Viele von ihnen waren ehemals in der Fischerei tätig. Die Kombination aus Perspektivlosigkeit, Hunger und steigenden Lebenshaltungskosten treibt immer mehr junge Männer zur Flucht.
Umwelt in der Krise: Klimawandel als Brandbeschleuniger
Der Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich. Steigende Wassertemperaturen treiben viele Fischarten weiter Richtung Norden, weg von den traditionellen Fanggründen der lokalen Fischer. Extreme Wetterereignisse wie tropische Stürme erschweren das sichere Ausfahren auf See. Für Küstengemeinschaften bedeutet das: längere Fahrten, höhere Risiken – und noch mehr wirtschaftlicher Druck.
Regionale Lösungen: Hoffnung aus den Gemeinden
Initiativen gegen die Ausbeutung
Inmitten der Krise entstehen aber auch neue Ansätze. In mehreren Ländern setzen NGOs wie Blue Ventures auf Community-basierte Fischereiverwaltung. Lokale Gruppen überwachen selbst ihre Fanggebiete, errichten Meeresschutzgebiete und setzen sich für nachhaltige Fangmethoden ein. Diese Projekte zeigen erste Erfolge: In geschützten Zonen erholen sich die Bestände, der lokale Fischhandel nimmt wieder zu.
Stimmen aus der Community
„Die Fischereiabkommen waren am Anfang hilfreich, doch mit der Zeit haben die großen Schiffe unsere Fischgründe zerstört.“ – Nutzerkommentar aus r/Senegal
„Unsere Küsten werden geplündert, und wir bekommen dafür nichts zurück.“ – Twitter-Nutzer aus Ghana
Ein globales Problem braucht globale Verantwortung
Ob EU, China oder Russland – die internationale Gemeinschaft muss sich ihrer Verantwortung stellen. Die westafrikanische Fischereikrise ist nicht nur ein regionales Problem, sondern eine Folge globaler Marktmechanismen, Handelsabkommen und Konsummuster. Wer Fisch in europäischen Supermärkten kauft, trägt mittelbar zur Situation bei.
Transparente Fischereiabkommen, unabhängige Kontrolle und faire Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Meeresressourcen sind dringend erforderlich. Auch internationale Subventionen für industrielle Fischerei müssen kritisch hinterfragt werden – sie fördern Überkapazitäten und schädigen lokale Märkte.
Antworten auf häufige Nutzerfragen
Warum kollabieren Fischbestände in Westafrika trotz Fischereiabkommen?
Die Fischereiabkommen werden häufig unzureichend kontrolliert. Viele ausländische Flotten operieren darüber hinaus illegal oder außerhalb der vereinbarten Zonen, was zur Überfischung führt. Hinzu kommen technische Ausrüstungen wie kleine Maschenweiten und Schleppnetze, die auch Jungfische fangen und die Regeneration der Bestände behindern.
Wie wirkt sich Überfischung in Westafrika auf Migration aus?
Viele junge Männer sehen in der Fischerei keine Zukunft mehr. Der Verlust ihrer Lebensgrundlage führt zu wachsender Armut, wodurch sich viele zur Migration gezwungen sehen – oft über lebensgefährliche Routen nach Europa.
Welche Rolle spielen “Flags of Convenience” in der westafrikanischen Fischerei?
Durch die Registrierung unter fremden Flaggen umgehen Unternehmen nationale Kontrollen und können günstiger operieren. Diese Praxis fördert illegale Aktivitäten und erschwert die Strafverfolgung bei Verstößen gegen Fischereigesetze.
Welche Lösungen gibt es für die Fischereikrise in Westafrika?
Lokale Initiativen setzen auf nachhaltige Fangmethoden, Meeresschutzgebiete und Gemeinschaftskontrolle. International sind Transparenz bei Fischereiabkommen, stärkere Kontrollen und ein Stopp von Subventionen für industrielle Fischerei entscheidend.
Fazit: Das Meer gehört allen – aber nicht jedem gleich viel
Die Fischereikrise in Westafrika zeigt exemplarisch, wie wirtschaftliche Interessen, mangelnde Regulierung und Umweltzerstörung ineinandergreifen. Sie gefährdet nicht nur das ökologische Gleichgewicht, sondern auch das Überleben ganzer Küstengemeinschaften. Nur durch gemeinsame Verantwortung und nachhaltige Lösungen kann der Teufelskreis durchbrochen werden. Es braucht politischen Willen, internationale Kooperation – und die Stimme der Menschen, die am meisten betroffen sind.