Inmitten eines zunehmenden Rechtsrucks in Deutschland formieren sich Migrant:innenorganisationen zu einer kraftvollen Gegenbewegung. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen, insbesondere der Zusammenarbeit von CDU/CSU mit der AfD bei migrationspolitischen Entscheidungen, intensivieren diese Organisationen ihren Einsatz für Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte.
Die Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO), ein Netzwerk aus über 40 Verbänden, hat ihre Antirassismus-Agenda 2025 vorgestellt. Diese Agenda fordert unter anderem ein Bundespartizipationsgesetz, das Maßnahmen wie eine Quote für den öffentlichen Dienst, die Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle und ein verstärktes Vorgehen gegen Racial Profiling beinhaltet. Ziel ist es, die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in Deutschland zu fördern und rassistische Strukturen abzubauen.
Parallel dazu warnt der Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) vor einem gefährlichen Rückschritt im Staatsangehörigkeitsrecht. Der Vorstoß des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, eingebürgerten Bürger*innen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, wird als verfassungswidrig und diskriminierend kritisiert. DaMOst ruft zur Verteidigung von Demokratie und Grundrechten auf und betont die Notwendigkeit umfassender Reformen für Inklusion und politische Teilhabe.
Die Demonstrationen der letzten Monate zeigen die breite Unterstützung für diese Anliegen. Unter dem Motto „Mutig. Menschlich. Miteinander.“ versammelten sich zehntausende Menschen in Städten wie Berlin, München und Düsseldorf, um gegen die Normalisierung rechter Positionen zu protestieren. Prominente Persönlichkeiten wie Herbert Grönemeyer und Bela B unterstützten die Veranstaltungen mit Reden und Auftritten. In Berlin allein schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl auf rund 30.000.
Die AfD, die im Mai 2025 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde, hat gegen diese Einstufung Klage eingereicht. Bis zur gerichtlichen Klärung hat der Verfassungsschutz eine „Stillhaltezusage“ abgegeben, die Aussage zur neuen Einstufung nicht öffentlich zu wiederholen. Dennoch bleibt die Sorge vor dem Einfluss rechtsextremer Strömungen auf die deutsche Politik bestehen.
In diesem Kontext betont Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbands der Migrantinnenorganisationen: „Das Beispiel Ungarn mit seinem Regierungschef Viktor Orban zeigt, was Populisten machen.“ Sie warnt davor, dass ähnliche Entwicklungen auch in Deutschland drohen könnten, wenn rechtspopulistische Tendenzen nicht entschieden bekämpft werden.
Neue Allianzen zwischen Zivilgesellschaft und Politik
In Reaktion auf die wachsenden Herausforderungen formieren sich zunehmend Allianzen zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen, Kirchen, Gewerkschaften und demokratischen Parteien. Diese strategischen Partnerschaften zielen darauf ab, nicht nur punktuell auf politische Entwicklungen zu reagieren, sondern langfristige Strukturen der Zusammenarbeit zu etablieren. Gemeinsam setzen sie sich für einen inklusiven gesellschaftlichen Diskurs ein, der insbesondere migrantische Stimmen in den Mittelpunkt rückt. Dabei geht es nicht nur um symbolische Unterstützung, sondern um konkrete politische Maßnahmen, die durch gemeinsame Kampagnen, Bildungsoffensiven und Gesetzesinitiativen vorangetrieben werden.
Ein Beispiel dafür ist die neu gegründete Plattform „<strong#wirsindviele< strong="">“, die unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Neuen Deutschen Organisationen (NDO) getragen wird. Sie fordert eine Verstärkung der politischen Bildungsarbeit an Schulen und in der Erwachsenenbildung, um antirassistische Haltungen zu fördern und demokratische Grundwerte zu festigen. Auch parteiübergreifende Runden auf Landes- und Bundesebene wurden angestoßen, um Maßnahmenpakete gegen Rassismus zu verabschieden. Die Initiative sieht sich nicht als Gegenspieler der Politik, sondern als deren kritischer Partner. Durch dieses neue Selbstverständnis wandelt sich die Rolle migrantischer Communities – sie treten nicht mehr nur als Betroffene auf, sondern als aktive Mitgestalter des gesellschaftlichen Wandels.</strong#wirsindviele<>
Jugendliche mit Migrationsgeschichte als Hoffnungsträger
Eine zentrale Rolle im Widerstand gegen Rechtspopulismus übernehmen auch junge Menschen mit Migrationsgeschichte, die zunehmend sichtbarer und selbstbewusster auftreten. Sie gründen Vereine, organisieren Diskussionsrunden, produzieren Podcasts und nutzen soziale Medien, um ihre Perspektiven einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Besonders auf TikTok und Instagram verbreiten sie Inhalte, die Alltagsrassismus entlarven, kulturelle Identität feiern und politische Bildung niedrigschwellig zugänglich machen. Durch ihre digitale Vernetzung entstehen transregionale Communities, die Solidarität stärken und neue Formen politischer Teilhabe ermöglichen.
Programme wie „Jugend engagiert sich“ oder „Demokratie leben!“ bieten jungen Engagierten Plattformen zur Weiterbildung, Projektfinanzierung und zur Entwicklung eigener Initiativen. Dabei zeigen sich viele von ihnen gut informiert, vernetzt und entschlossen, ihre Zukunft nicht Rechtspopulisten zu überlassen. Die neue Generation fordert nicht nur Repräsentation in politischen Gremien, sondern auch strukturelle Veränderungen, etwa im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder im Zugang zu Wohnraum. Ihre Botschaft ist klar: Integration ist kein Gnadenakt, sondern ein gleichberechtigter Anspruch. Diese Haltung macht sie zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen Kräfte im Kampf für ein inklusives Deutschland.
Kulturelle Sichtbarkeit als politische Strategie
Kulturelle Veranstaltungen und kreative Ausdrucksformen werden zunehmend als Werkzeuge der politischen Selbstermächtigung genutzt. Festivals wie das African Book Festival in Berlin oder das Afro Ruhr Festival in Dortmund verbinden kulturelle Identität mit politischer Botschaft. Tanz, Musik, Literatur und Theater bieten Plattformen, um Diskriminierung zu thematisieren und gleichzeitig positive Narrative zu migrantischem Leben in Deutschland zu schaffen. Solche Formate erreichen Menschen, die durch klassische politische Kommunikation kaum angesprochen werden, und fördern zugleich das interkulturelle Verständnis.
Diese kulturelle Sichtbarkeit ist jedoch nicht nur symbolisch: Immer mehr Künstler:innen mit afrikanischen Wurzeln fordern Fördergelder, Bühnen und Medienpräsenz ein – und zwar nicht als „Diversity-Token“, sondern als gleichwertige Akteure der deutschen Kulturlandschaft. Durch Initiativen wie „Each One Teach One“ (EOTO) oder die Black Academy wird kulturelles Wissen dokumentiert, weitergegeben und ins Zentrum öffentlicher Diskurse gerückt. Damit entstehen neue Räume der Selbstdefinition, in denen sich Schwarze Menschen und andere People of Color nicht mehr ausschließlich über Rassismuserfahrungen definieren, sondern über ihre kreativen, intellektuellen und gesellschaftlichen Beiträge. Diese kulturellen Strategien ergänzen die politischen Forderungen und machen sichtbar, was in der politischen Debatte oft übersehen wird: die Vielfalt als Stärke einer demokratischen Gesellschaft.