Neustart auf Augenhöhe: Wie Deutschland seine Beziehungen zu Afrika neu denkt

Neustart auf Augenhöhe: Wie Deutschland seine Beziehungen zu Afrika neu denkt

Berlin, 22. Mai 2025, 10:00 Uhr

Mit der Veröffentlichung der neuen afrikapolitischen Leitlinien hat Deutschland eine Neuausrichtung seiner Afrikapolitik angestoßen, die weit über wirtschaftliche Kooperation hinausgeht. Unter dem Titel „Gemeinsam Partnerschaften gestalten in einer Welt im Wandel“ wurden im Januar 2025 wegweisende Maßnahmen beschlossen, die auf eine Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten auf Augenhöhe abzielen. Im Zentrum steht die Abkehr von einem paternalistischen Politikstil hin zu einem echten Dialog der Partner. Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Inhalte, Herausforderungen und ungenutzten Potenziale der neuen Strategie.

Ein strategischer Wendepunkt in der Afrikapolitik

Die Bundesregierung hat ihre bisherige Afrika-Strategie grundlegend überarbeitet. Die neuen Leitlinien lösen die Strategien aus den Jahren 2014 und 2019 ab und fokussieren sich auf ein partnerschaftliches Miteinander. Die Betonung liegt auf Respekt, Transparenz und gemeinsamen Interessen. Damit reagiert Deutschland auch auf die zunehmende geopolitische Relevanz Afrikas in einer multipolaren Weltordnung.

Im Vordergrund steht der Aufbau langfristiger Beziehungen, die nicht auf kurzfristige Hilfen, sondern auf strukturelle Entwicklung und gegenseitige Verantwortung setzen. Ziel ist es, gemeinsame Lösungen für globale Herausforderungen zu finden, von der Klimakrise über Migration bis hin zu Sicherheitsfragen.

Vier Kernbereiche der Zusammenarbeit

1. Globale Herausforderungen gemeinsam bewältigen

Ein zentraler Bestandteil der neuen Leitlinien ist die gemeinsame Bearbeitung weltweiter Krisen. Dazu zählen der Klimawandel, Gesundheitskrisen, technologische Transformation und Migration. Besonders im Fokus steht die Unterstützung der afrikanischen Staaten beim Ausbau nachhaltiger Energiesysteme und der Entwicklung lokaler Wertschöpfungsketten. Deutschland möchte Afrika hierbei als Partner bei der Umsetzung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) begleiten und gezielt Investitionen fördern.

2. Sicherheit, Frieden und Stabilität

Die Förderung von Sicherheit und Frieden ist eine zweite tragende Säule. Ziel ist es, afrikanische Staaten bei der Prävention und Lösung von Konflikten zu stärken. Dies beinhaltet auch die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Dabei sollen nicht-militärische Ansätze im Vordergrund stehen – eine Entscheidung, die vereinzelt auch kritisiert wird, da strukturelle Sicherheitsprobleme oft langfristige militärische Absicherung benötigen.

3. Wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen gefördert und Investitionsbedingungen verbessert werden. Der Ausbau der Infrastruktur und der Zugang zu Bildung und Ausbildung gelten als Schlüsselfaktoren für wirtschaftliche Stabilität. Deutschland sieht in der Stärkung afrikanischer Wirtschaftsstrukturen auch eine Antwort auf Migrationsursachen.

4. Demokratie, Menschenrechte und Regierungsführung

Ein weiterer Fokus liegt auf der Stärkung demokratischer Institutionen, der Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung von Menschenrechten. Dabei wird insbesondere die Rolle junger Menschen, Frauen und marginalisierter Gruppen betont. Deutschland möchte den politischen Dialog auf allen Ebenen intensivieren und partizipative Regierungsformen fördern.

Neue Dimensionen in der Partnerschaft

Afrikas Rolle in einer multipolaren Welt

Die neue Strategie erkennt Afrika als politischen und wirtschaftlichen Akteur mit wachsender Bedeutung an. Mit seiner jungen Bevölkerung, steigender Innovationskraft und wachsender digitaler Infrastruktur wird Afrika als Partner gesehen, mit dem Deutschland globale Antworten auf Krisen entwickeln möchte. Der Paradigmenwechsel hin zur „Partnerschaft auf Augenhöhe“ ist Ausdruck dieser veränderten Sichtweise.

Reform globaler Institutionen

Ein bisher wenig diskutierter, aber wichtiger Bestandteil der neuen Leitlinien ist die deutsche Unterstützung für die Reform globaler Institutionen. Besonders hervorzuheben ist die Forderung nach zwei ständigen afrikanischen Sitzen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Damit will Deutschland zur Stärkung der internationalen Teilhabe Afrikas beitragen – ein Signal, das in vielen afrikanischen Staaten positiv aufgenommen wurde.

Umwelt und Klima: Dreifachkrise im Fokus

Die Bundesregierung stellt die „dreifache Krise“ von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung ins Zentrum ihrer ökologischen Partnerschaften. Gemeinsam mit afrikanischen Staaten sollen innovative Konzepte für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen entwickelt werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Energiewende in afrikanischen Staaten, verbunden mit Investitionen in grüne Technologien.

Ernährungssicherheit als geopolitisches Thema

Ein neuer Aspekt in der deutschen Afrikapolitik ist die gezielte Förderung von Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Ziel ist es, moderne Agrarsysteme aufzubauen, die gleichzeitig klimaresistent sind und zur Armutsbekämpfung beitragen. Hierbei arbeiten verschiedene Ministerien – insbesondere das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) – mit afrikanischen Partnerinstitutionen zusammen.

Kritik und Herausforderungen

Finanzielle Widersprüche

Trotz der ambitionierten Zielsetzungen steht die neue Afrikapolitik unter Druck. Kritisiert wird unter anderem die geplante Halbierung der Mittel für internationale Nothilfe im Jahr 2025. Auch die Umleitung von Entwicklungsgeldern zugunsten des Klimafonds wird als problematisch angesehen. Experten warnen, dass solche Kürzungen die Umsetzung der Strategie gefährden und Deutschlands Glaubwürdigkeit als Partner untergraben könnten.

Fehlende militärische Unterstützung?

Mehrere außenpolitische Beobachter merken kritisch an, dass die Betonung ziviler Instrumente nicht ausreiche, um auf komplexe sicherheitspolitische Herausforderungen in einigen Regionen Afrikas zu reagieren. Besonders im Sahel und in Teilen Ostafrikas könnte ein stärkeres militärisches Engagement sinnvoll sein, um langfristige Stabilität zu sichern.

Fragmentierung auf Regierungsebene

Ein wiederholt geäußerter Kritikpunkt betrifft die fehlende strategische Kohärenz zwischen den Ressorts. Die Umsetzung der neuen Leitlinien erfordert enge Abstimmungen zwischen Auswärtigem Amt, Entwicklungsministerium, Wirtschaftsministerium und weiteren Institutionen. Ohne eine solche Koordination droht ein Auseinanderlaufen der Maßnahmen.

Europäische Dimension und geopolitischer Wettbewerb

Die neue deutsche Afrikapolitik kann nicht losgelöst vom internationalen Kontext betrachtet werden. Angesichts des wachsenden Engagements von China und Russland in Afrika, steht Deutschland unter Zugzwang, attraktive und glaubwürdige Partnerschaftsangebote zu machen. Gleichzeitig wird Deutschland aufgefordert, innerhalb der EU eine Führungsrolle zu übernehmen und gemeinsam mit europäischen Partnern neue Initiativen für die Zusammenarbeit mit Afrika zu entwickeln.

„Deutschland darf sich nicht hinter Begriffen wie ‚Partnerschaft‘ verstecken, sondern muss diese mit Substanz und Taten füllen.“

So lauten kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die auf die Gefahr hinweisen, dass gute Absichten ohne konkrete Umsetzung verpuffen.

Ausblick: Zwischen Anspruch und Realität

Deutschlands neue Afrika-Strategie ist ambitioniert, gut begründet und stellt einen echten Bruch mit alten Mustern dar. Sie setzt auf Respekt, geteilte Verantwortung und langfristige Zusammenarbeit. Ob diese Strategie in der Praxis Wirkung entfalten kann, hängt maßgeblich von drei Faktoren ab:

  • Ausreichende Finanzierung: Ohne die notwendigen Mittel bleibt die Strategie ein Papiertiger.
  • Koordination der Ressorts: Nur durch eine abgestimmte Umsetzung kann die gewünschte Wirkung erreicht werden.
  • Einbindung afrikanischer Partner: Die Strategie darf nicht über Afrika hinweg, sondern muss mit Afrika gestaltet werden.

In einer Welt im Wandel wird sich die Partnerschaft zwischen Deutschland und Afrika zu einer der entscheidenden Achsen globaler Politik entwickeln – wenn Anspruch und Umsetzung im Gleichklang stehen.

Weitere Artikel

Das ist auch interessant

Deutsche Investoren setzen auf Afrikas Tech-Szene: Startups erleben Boom

Afrikas Startup-Szene zieht seit einigen Jahren immer stärker internationale Aufmerksamkeit auf sich – nun entdecken auch deutsche Investoren den dynamischen Markt.

Afrikanische Fachkräfte: Welche Strategie Deutschland bei Zuwanderung und Rückkehr verfolgt

Der demografische Wandel und der steigende Fachkräftemangel setzen Deutschland zunehmend unter Druck. Afrikanische Fachkräfte rücken dabei stärker in den Fokus der politischen Agenda.

Digitale Revolution in Benin: Guerin Agossadou modernisiert Mietverwaltung mit Locapay

In Benin entsteht ein spannendes digitales Ökosystem, das den Mietmarkt neu gestalten soll. Der Unternehmer Guerin Agossadou hat mit seiner Plattform Locapay eine Lösung entwickelt, die Mietverwaltung, Immobilienvermittlung und Zahlungsabwicklung auf einer digitalen Basis vereint.

Premier Energies sichert sich 20-Millionen-Dollar-Solarauftrag in Benin

 

Indiens Solartechnikhersteller Premier Energies hat einen der bislang bedeutendsten Aufträge in Westafrika gewonnen. Für rund 19,95 Millionen US-Dollar wird das Unternehmen in Benin mehrere tausend Solarsysteme installieren und so zur Energieversorgung von Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Sicherheitsstationen beitragen.

Flüchtlingskatastrophe vor Jemen: Über 150 Menschen an Bord – nahezu vollständiger Verlust

Ein Boot mit rund 150 Migrantinnen und Migranten sank Anfang August 2025 vor der Küste der jemenitischen Provinz Abyan auf dem Golf von Aden. Mindestens 54 Menschen wurden tot geborgen

Afrikas Fußballerinnen erobern die Welt: Wie Nigeria Europas Topteams herausfordert

Mit elf Titeln ist Nigeria unangefochtene Rekordsiegerin beim Women’s Africa Cup of Nations. Doch der Erfolg der Super Falcons ist längst mehr als nur ein kontinentaler Triumph

Afrikas neue Bundesliga-Welle: Warum Top-Talente vermehrt nach Deutschland wechseln

Eine neue Transferdynamik sorgt für Gesprächsstoff in der deutschen Fußballwelt: Immer mehr junge Talente mit afrikanischen Wurzeln drängen in die Bundesliga.