Deutschland, Algerien, Italien, Österreich und Tunesien haben eine Absichtserklärung zur Entwicklung des sogenannten südlichen Wasserstoffkorridors unterzeichnet. Dieses Projekt sieht eine direkte Leitungsverbindung zwischen Nordafrika und Europa vor, um grünen Wasserstoff aus sonnenreichen Regionen wie Algerien und Tunesien nach Europa zu transportieren. Der Korridor soll eine Länge von etwa 3.500 bis 4.000 Kilometern haben und größtenteils bestehende Erdgaspipelines nutzen, die für den Wasserstofftransport umgerüstet werden.
Die geplante Infrastruktur wird aus fünf Teilprojekten bestehen, die sich von Sizilien bis nach Bayern erstrecken. Etwa 60 bis 70 Prozent der Leitungen sollen aus umgerüsteten Erdgaspipelines bestehen, was die Kosten und den Zeitaufwand im Vergleich zum Neubau reduziert. Die verbleibenden Abschnitte werden neu gebaut, um eine durchgängige Verbindung sicherzustellen.
Der südliche Wasserstoffkorridor soll jährlich bis zu 163 Terawattstunden (TWh) erneuerbaren Wasserstoff nach Europa transportieren, davon 55 TWh nach Deutschland. Dies entspricht etwa einem Drittel des deutschen Stromverbrauchs im Jahr 2023 und würde einen erheblichen Beitrag zur Dekarbonisierung der europäischen Energieversorgung leisten.
Die Produktion des Wasserstoffs in Nordafrika erfolgt durch Elektrolyse, bei der Wasser mithilfe von Solar- und Windenergie in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Diese Methode ermöglicht die Herstellung von grünem Wasserstoff, der keine CO₂-Emissionen verursacht. Die klimatischen Bedingungen in Nordafrika bieten ideale Voraussetzungen für die Nutzung erneuerbarer Energien, was die Region zu einem attraktiven Standort für die Wasserstoffproduktion macht.
Das Projekt wurde von der Europäischen Union als Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Projects of Common Interest, PCI) anerkannt und in die Global Gateway-Initiative aufgenommen. Diese Anerkennung erleichtert die Finanzierung und Umsetzung des Projekts durch politische Unterstützung und Investitionen.
Staatssekretär Philip Nimmermann vom Bundeswirtschaftsministerium betonte die Bedeutung des Projekts:
„Wir können damit das immense Potenzial Nordafrikas für erneuerbare Energien nutzen, den Wasserstoffhochlauf auch in Deutschland nach vorn bringen und die Klimaziele der EU unterstützen.“
Neben der energetischen Bedeutung bietet das Projekt auch wirtschaftliche Chancen für die beteiligten nordafrikanischen Länder. Algerien und Tunesien können durch die Wasserstoffproduktion ihre Wirtschaft diversifizieren, neue Arbeitsplätze schaffen und ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bzw. dem Tourismussektor verringern.
Die beteiligten Länder planen, den südlichen Wasserstoffkorridor bis zum Jahr 2030 in Betrieb zu nehmen. Die Umsetzung des Projekts erfordert enge Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Energieunternehmen und Infrastrukturbetreibern, um die technischen, finanziellen und regulatorischen Herausforderungen zu bewältigen.
Mit dem südlichen Wasserstoffkorridor setzen die beteiligten Länder ein starkes Zeichen für die europäisch-afrikanische Energiepartnerschaft und die gemeinsame Anstrengung zur Erreichung der Klimaziele. Das Projekt könnte als Modell für zukünftige Kooperationen im Bereich der erneuerbaren Energien dienen und die Grundlage für eine nachhaltige Energiezukunft schaffen.
Geopolitische Bedeutung des südlichen Wasserstoffkorridors
Der südliche Wasserstoffkorridor hat nicht nur wirtschaftliche und ökologische, sondern auch bedeutende geopolitische Implikationen. Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen europäischen und nordafrikanischen Ländern stärkt die bilateralen Beziehungen und fördert die politische Stabilität in der Region. Durch die enge Einbindung von Staaten wie Algerien und Tunesien in langfristige Energiepartnerschaften wird deren geopolitische Rolle gestärkt. Diese Länder erhalten durch ihre neue Funktion als Energielieferanten mehr internationale Bedeutung, was ihnen nicht nur wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch mehr politisches Gewicht auf internationaler Ebene verschaffen kann.
Gleichzeitig reduziert Europa seine strategische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland und dem Nahen Osten. Die Diversifizierung der Energiequellen ist nicht nur Teil des Green Deals, sondern auch sicherheitspolitisch motiviert. In einer Zeit, in der Energiesicherheit zur geopolitischen Herausforderung geworden ist, ist der Wasserstoffkorridor ein Instrument, um neue, stabile Partnerschaften zu etablieren. Die Initiative sendet auch ein klares Signal an andere Länder: Europa investiert massiv in eine nachhaltige, unabhängige Energiezukunft und setzt dabei auf Kooperation und Innovation.
Technologische Herausforderungen und Chancen
Die Umsetzung des südlichen Wasserstoffkorridors bringt erhebliche technologische Herausforderungen mit sich. Besonders die Umrüstung bestehender Erdgaspipelines für den Transport von Wasserstoff ist komplex. Wasserstoff hat eine andere chemische Struktur als Erdgas und reagiert beispielsweise aggressiver mit Metallrohren, was zu Versprödung führen kann. Deshalb müssen umfangreiche Materialprüfungen und teilweise auch Austauschmaßnahmen erfolgen. Auch die Verdichtung, Speicherung und Einspeisung von Wasserstoff erfordert neue Technologien, die derzeit noch weiterentwickelt werden.
Gleichzeitig eröffnet das Projekt enorme Chancen für die europäische Technologiebranche. Unternehmen im Bereich Energietechnik, Anlagenbau und Logistik könnten durch Innovationen im Wasserstoffbereich zu weltweiten Vorreitern werden. Der Bau des Korridors wird so auch zu einem Innovationsmotor für die Industrie und könnte zahlreiche neue Patente, Standards und Exportmöglichkeiten schaffen. In Verbindung mit einer gezielten Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Wasserstofftechnologie stärkt das Projekt langfristig die Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Soziale und ökologische Dimension in Nordafrika
Für die nordafrikanischen Länder, insbesondere Algerien und Tunesien, bietet der Wasserstoffkorridor nicht nur wirtschaftliche Perspektiven, sondern auch einen sozialen und ökologischen Wandel. Die Produktion von grünem Wasserstoff kann Tausende neue Arbeitsplätze schaffen, sowohl in der Energiegewinnung als auch in begleitenden Sektoren wie Logistik, Bildung und Forschung. Durch gezielte Ausbildungsprogramme könnten insbesondere junge Menschen vom Strukturwandel profitieren. Die lokalen Gemeinden, in denen Solarfarmen und Elektrolyseure entstehen, werden langfristig gestärkt und erhalten Zugang zu neuen Infrastrukturen wie Stromnetzen, Wasseraufbereitungsanlagen und Verkehrswegen.
Gleichzeitig stellt das Projekt Anforderungen an die ökologische Verträglichkeit. Der hohe Wasserbedarf der Elektrolyse muss in wasserarmen Regionen durch nachhaltige Lösungen wie Meerwasserentsalzung gedeckt werden. Auch die Flächeninanspruchnahme durch großflächige Solaranlagen erfordert ein sensibles Vorgehen, um Biodiversität und traditionelle Landnutzung nicht zu gefährden. Nur wenn die Energiepartnerschaft auf Augenhöhe erfolgt und ökologische wie soziale Standards berücksichtigt werden, kann der südliche Wasserstoffkorridor zu einem echten Leuchtturmprojekt einer gerechten und nachhaltigen Energiewende werden.